Ob mikroskopisch klein oder monumental, der Kalligraph Dawud al-Hossaini (1894-1979) beherrschte jedes Format. Er schrieb Koransuren auf ein Reiskorn, füllte winzige Seiten eines Miniaturbuchs mit 550 Buchstaben oder entwarf monumentale Bauinschriften wie sie den Triumphbogen (Taq-e Zafar) und andere moderne Denkmäler in Kabul schmücken. Als Kulturberater des letzten afghanischen Königs, Muhammad Zahir Khan (reg. 1933–1973) gehörte er zur intellektuellen und politischen Elite des Landes und bekleidete hohe Ämter wie die Leitung der staatlichen Druckereien Afghanistans.
Trotz seiner erfolgreichen politischen und intellektuellen Karriere blieb al-Hossaini seinem künstlerischen Wirken als Kalligraph treu. Doch nur ein Bruchteil seines Werkes ist heute erhalten, ungeachtet seiner großen Produktivität. Der Verbleib von ca. 300 kalligrafischen Arbeiten, die im Nationalarchiv in Kabul aufbewahrt wurden, ist ungeklärt. Andere Werke, die König Muhammad Zahir Khan als Staatsgeschenke an internationale Staats- und Regierungschefs sandte, sind entweder verloren gegangen oder in verschiedenen Archiven verstreut, wo sie auf ihre Entdeckung warten.
Das Museum für Islamische Kunst konnte kürzlich einen Teil des Werkes von Hossaini erwerben, dank einer großzügigen Spende und Langzeitleihgabe seines Sohnes Dr. Haschmat Hossaini. In der Ausstellung Kalligraph des Königs – Dawud al-Hossaini werden vom 7. Februar bis 3. Mai 2020 erstmals eine Auswahl kalligraphischer Blätter und Objekte des Künstlers zu sehen sein. Die Entwürfe, Übungsblätter und ausgeführten Kalligraphien sind virtuose Meisterwerke und zeugen zugleich von seinem Selbstverständnis als moderner Meisterkalligraph, der in der langen Tradition Zentralasiens arbeitet.
Spektakuläre Highlights der Ausstellung sind zwei Reiskörner mit mikroskopisch kleiner Kalligraphie. Die zugehörigen Begleitschreiben weisen sie als diplomatische Geschenke, u.a. nach Deutschland, aus. Außerdem werden außergewöhnliche Beispiele für Siya Mashq zu sehen sein. Diese in Zentralasien weit verbreitete und sehr geschätzte Kalligraphieform demonstriert die Meisterschaft eines Kalligraphen, Buchstabenformen und -kombinationen dynamisch zu replizieren. Welche Kunstfertigkeit die Kalligraphiepraxis erfordert, lassen die erhaltenen Übungsblätter ahnen. Das breite Spektrum von Fertigkeiten, das den Meisterkalligraphen auszeichnet zeigen marmorierte Abri-Papiere die beispielsweise bei der Herstellung von Rahmen oder Einbänden Verwendung fanden.
Der Überblick über das breitgefächerte Werk Al-Hossainis wird abgerundet durch eine Reihe außergewöhnlicher kalligraphischer Blätter, die seine Virtuosität als Kalligraph unter Beweis stellen und zugleich berühmte persische Dichter wie Bedil, Saib, Hafiz und Sadi zu Wort kommen lassen. In dieser Zusammenstellung von klassischer Poesie und Kalligraphie wird der umfassende Anspruch Al-Hossainis deutlich, sein starkes Engagement für die klassische islamische Kalligraphie, das sich mit einem tiefen Verwurzeltsein in poetischen Traditionen Zentralasiens verbindet.