Dittrich & Schlechtriem freuen sich, die dritte Einzelausstellung des Künstlers Andrej Dúbravský in der Galerie zu präsentieren. Unter dem Titel Potential Wasted zeigt er Gemälde, in denen Anregungen aus der Kunstgeschichte von Paul Klee bis Helen Frankenthaler mit Repräsentation, Abstraktion, Landschaftsmalerei und queerer Figuration eine fruchtbare Verbindung eingehen.
In dieser jüngsten Serie von Öl und Pastellbildern auf Leinwand, die in seinem ländlichen Umfeld und seinem Biogemüsegarten in Rastislavice (Slowakei) verwurzelt sind, widmet sich Dúbravský Fragen rund um Landwirtschaft, Industrie und globale Klimapolitik. In der Austellung Potential Wasted trifft der Betrachter auf vielfältige Motive, darunter Porträts von Raupen und jungen Männern, von Badenden bevölkerte slowakische Industrielandschaften und merkwürdig verändertes Obst mit menschlichen Zügen.
“Die Arbeiten von Andrej Dúbravský sind durchzogen von Analysen, Einordnungen und Kommentaren von und zu aktuellen Entwicklungen und Akteuren, die sich in den Gemälden des Künstlers in gleichermaßen empathischen wie schonungslosen Studien zu Umwelt und Zerstörung, zu Mensch und Natur äußern. Dúbravský, 1987 in Bratislava geboren, lebt einhundert Kilometer entfernt der slowakischen Hauptstadt auf dem Land. […]Dúbravskýs Aktivitäten abseits der Leinwand sind derart eng mit seinen Arbeiten verbunden, dass unklar bleibt, ob das Kultivieren von Pflanzen und Tieren auf seinem Grundstück nun reine Freizeitbeschäftigung ist oder doch schon Teil der künstlerischen Praxis. Veränderungen der Umwelt nimmt der Künstler dadurch jedenfalls schneller wahr als jeder Städter. Dann zum Beispiel, wenn gewisse Schmetterlinge nicht mehr durch seinen Garten fliegen, in dem er auch malt, dafür aber bisher ungesehene Raupen aus südlicheren Gebieten in Massen einfallen.
Raupen, überlebensgroß gemalt, sind ein immer wiederkehrendes Motiv in Dúbravskýs Arbeiten. Unnatürliche, verwaschene Farben und gestochen scharfe Haare verleihen den Larven ein abstoßendes, toxisches Erscheinungsbild, sie leuchten, pulsieren und strahlen wie radioaktives Material oder Grippeviren unter dem Mikroskop. Manchen von ihnen gibt Dúbravský aber Gesichter und spricht ihnen damit sofort einen eigenen Willen zu, zeigt sie als verwundbare Wesen.
Der scharfe Blick Dúbravskýs geht über seinen Garten und das 800-Einwohner-Dorf, in dem er wohnt, hinaus. Während seiner regelmäßigen Zugfahrten nach Bratislava ziehen Fabriken und ihre rauchenden Schlote am Fenster vorbei. Sie finden ebenfalls auf den groben Leinwänden statt, die dem Künstler als Malgrund dienen. Dúbravský zeigt sie in einer stark reduzierten Bildsprache als geometrische Körper, eingehüllt von wolkigem Rauch. So wirken die Industriekomplexe bedrohlich und undurchschaubar. Der Qualm, den sie absondern, ist die offensichtlichste Form der Umweltverschmutzung, die dreisteste aller Klimasünden, und treibt nicht nur die Raupen aus wärmeren Gebieten in Dúbravskýs Garten, sondern die Welt und mit ihr die bestehenden politischen Ordnungen an den Rand des Kollaps. Die moralische Grenze verläuft hier klar zwischen menschengemachten und irreversiblen Umwelt- und Klimaschäden und einer schützenswerten Natur und Artenvielfalt. Die Gegenüberstellung der beiden ist für Dúbravský der erste Schritt hin zu einer Zukunft, in der das Ziehen einer Linie zwischen menschlichem Handeln und dem Zustand der Natur gar nicht mehr nötig ist.
Bei alldem sind seine Gemälde keine Maßregelungen oder fade Aufrufe zum Konsum- und Lustverzicht. Im Gegenteil: Dúbravský ruft zum Freiheitsgenuss auf, zur Nacktheit unter freiem Himmel, dazu, Obst von Bäumen zu pflücken und auf der Stelle zu essen, zum Blumenpflanzen und Hühnerhalten. Der Künstler proklamiert mehr Klimasensibilität durch maximale Liberalität – einen ethischen Hedonismus, der vielleicht für immer Utopie bleiben wird.”