Am 13.1.1902 hielt Friedrich Delitzsch, Professor für Assyriologe an der Berliner Universität und Gründungsdirektor der Vorderasiatischen Abteilung, in der Berliner Singakademie einen folgenreichen Vortrag. In Anwesenheit des Kaisers vertrat er die unerhörte These, dass die jüdische Religion und die Schilderungen des Alten Testamentes auf babylonische Vorlagen zurückzuführen seien. War der Kaiser von diesen Ideen zunächst sehr angetan, ließ er Delitzsch nach heftigen Protesten fallen. Weil der Altorientalist noch in zwei weiteren Vorträgen auf seinen Ausführungen beharrte, kam es zu einem heftigen Streit zwischen Theologen und Vertreten der noch jungen Altorientalistik, der bis heute nachwirkt.
In der drei Jahre zuvor gegründeten Vorderasiatischen Abteilung der Königlichen Museen befanden sich bereits erste Funde aus Palästina, Assyrien und Babylonien, darunter mehrere Tausend Tontafeln. Je mehr Texte man verstand, desto mehr Bezüge zur biblischen Überlieferung ließen sich herstellen. Vor diesem Hintergrund entwickelte Delitzsch seinen Vortrag mit dem Titel "Babel und Bibel". Die mitunter sehr polemischen Auseinandersetzungen führten zu einer enormen Popularisierung der deutschen Ausgrabungen im Vorderen Orient und insbesondere in Babylon. Auch Feuilletons, Satirezeitschriften und Karikaturen widmeten sich den weltanschaulichen Fragen und ließen das Bildungsbürgertum an dem akademischen Streit auf unterhaltsame Weise teilhaben.
Der sog. Babel-Bibel-Streit soll in einer Sonderausstellung des Vorderasiatischen Museums in Kooperation mit der FU Berlin in Erinnerung gebracht werden. Dazu können in der ständigen Ausstellung die um die Jahrhundertwende in Berlin verfügbaren materiellen Zeugnisse altorientalischer Kulturen besonders herausgestellt werden. Neben den Exponaten der Ausstellung bietet der Rückblick auch Gelegenheit, selten gezeigte Objekte aus den Depots, die als Quellen für die Überlegungen Delitzschs herangezogen werden können, zu präsentieren.