Tempora Showa von Inna Levinson markiert die erste Einzelausstellung der Künstlerin mit Circle Culture. Inna Levinsons Malerei entsteht in intensiver Auseinandersetzung mit unserer von neuen Technologien geprägten Lebenswelt. In ihren Werken setzt die Künstlerin fragmentarische Bezüge zu digitalen Phänomenen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und philosophischen Denkmodellen ein, um nach der Substanz der Wirklichkeit im Spiegel des digitalen Wandels zu fragen.
Charakteristisch für Levinsons Werke ist eine rasterartige Struktur, die sich aus dem Zusammenspiel von Farbauftrag und Malgrund ergibt. In unterschiedlich starker Deckkraft trägt sie Ölfarbe mit dem Spachtel auf ein grobmaschiges Jutegewebe auf, wodurch die Beschaffenheit der Leinwand sichtbar bleibt und zum wesentlichen Bildbestandteil wird. Es entstehen pointilistisch wirkende Bilder, die zwischen abstrakten Gebilden und schemenhaft oder deformiert erscheinenden menschlichen Figuren changieren. Die Ausstellung vereint Werke, die sich mit dem Einfluss des Digitalen auf unser Erleben beschäftigen.
In dem Werk SE//90/75/W/G/BL/2017 steht ein insbesondere aus den sozialen Medien bekanntes Motiv im Mittelpunkt: Die Arbeit zeigt eine Figur, die mit dem Smartphone ein Selbstporträt aufnimmt. In ihrem Werk hat die Künstlerin das Motiv auf wenige Schlüsselelemente reduziert. Hände und Telefon materialisieren sich im Vordergrund aus der pastösen Farbe, während das Gesicht kaum noch erkennbar ist. In dem Diptychon SE//90/150/W/G/RO/2017 überlagern sich die reduziert und in unterschiedlicher Vergrößerung dargestellten Hände und Mobiltelefone zu einer kaleidoskopartigen Ansicht. Das Selbstporträt hat in der Kunst eine lange Tradition im Medium der Malerei und der Fotografie – mit dem Smartphone-Selfie ist es zum flüchtigen Massenphänomen geworden. In Levinsons Arbeiten gerieren die Bildnisse zu stereotypen und identitäslosen, repetitiven Abbildern. Das Thema der ein Smartphone haltenden Hände ist auch der Ausgangspunkt der Arbeit SE//180/150/R/G/B/W/2018. Die Geste hat Levinson auf die Umrisse reduziert und zu einem monumentalen Objekt erhoben, das hier mit der menschlichen Silhouette in Konkurrenz tritt. Das Bild zitiert die Arbeitsfläche eines digitalen Bildbearbeitungsprogramms, in dem das Bildelement aus seinem Kontext gelöst, dupliziert und überlebensgroß aufgebläht wurde. Die Ästhetik von Computerbildschirmen mit ihren verschiedenen Fenstern, die sich in mehreren Ebenen überlagern, übersetzt Levinson in ihre Kompositionen, die sich collageartig zusammenfügen. Oftmals zeichnen sich die Werke durch eine Perspektive aus, die den Standpunkt imitiert, den der Mensch zum Bildschirm einnimmt. Indem sie die digitalen Vorbilder in ihre Werke überträgt, setzt sie die Bilder auch in direkten Kontrast zu traditionellen Sujets der Malerei, wie etwa dem Landschaftsbild. An die Stelle des Blickes aus dem Fenster auf die Welt tritt in Levinsons Werken der Blick auf den Monitor, der Körper, Raum und Perspektive in eine zweidimensionale Fläche nivelliert, Proportionen ignoriert und alles gleichermaßen präsent erscheinen lässt.
Das großformatige Gemälde E//200/300/M/GR/R/2018 zeigt die Rückansicht eines muskulösen Männerkörpers, der sich in ein gedachtes Bildgeviert einzufügen scheint, sodass die Beine und die linke Hand in der Darstellung fehlen. Mit dem hünenhaften Körper thematisiert die Künstlerin die Manipulationsmöglichkeiten durch die digitale Bildbearbeitung und die damit einhergehenden verzerrten Körperbilder. Als Pendant steht in der zweiten großen Arbeit E//200/300/W/GR/2018 ein vereinzeltes Bein in einem Damenschuh gegenüber, das sich in einer artistischen Bewegung über den gesamten Bildraum erstreckt. Es sind beinahe surreale Szenen, die die Künstlerin kreiert, und die sich dennoch unmittelbar aus den Konventionen der digitalen Bilderwelt speisen.
Ein wiederkehrendes Motiv in den Arbeiten von Inna Levinson ist die schematische Darstellung der Erdelemente. Damit verweist die Künstlerin auf die Lehre der Fünf Elemente, welche sich an Energien orientiert, die den Menschen beeinflussen und das Materielle auf der Erde formen. Neben den Fünf Elementen als Verweis auf den Versuch einer Wirklichkeitsbeschreibung finden sich in ihren Werken auch Bildelemente, die molekulare Strukturen nachahmen und damit die naturwissenschaftliche Welterklärung in den Blick nehmen. In der Verdichtung des technischen, medialen, gesellschaftlichen, kulturellen und biochemischen Gefüges, das unsere Wirklichkeit formt, vermisst Levinson unsere Gegenwart, die sich durch technologische Entwicklungen rasant und stetig verändert.
Inna Levinson (*1984) studierte Bildende Kunst an der Universität der Künste (UdK) Berlin. Sie lebt und arbeitet in Berlin.