Robert Irwin gilt seit den 1960er Jahren als Vorreiter der minimalen Malerei, Skulptur und ortsbezogenen Installation. Seine bekanntesten Werke sind Skulpturen und Environments, die präzise auf die Architektur und Eigenschaften der Räume, in denen sie ausgestellt werden, abgestimmt sind. Dabei kommen lichtdurchlässige und reflektierende Materialien, wie Gitterstoffe, Aluminium und Acryl zum Einsatz, die Licht sowohl einfangen als auch auf unterschiedlichste Weise mit ihm interagieren. Zu seinem 90. Geburtstag präsentiert Sprüth Magers in der Berliner Galerie eine Ausstellung von Robert Irwins jüngsten Lichtarbeiten und Gemälden. Anlässlich der Ausstellung und der Installation, die Irwin zu Beginn diesen Jahres speziell für Sprüth Magers Los Angeles schuf, wird die Galerie den Katalog Robert Irwin herausgeben (Erscheinungsdatum Herbst 2018).
Fluoreszierende Lichtquellen mit monumentalen Dimensionen setzte der Künstler erstmals im Jahr 1998 ein – als Teil einer umfassenden Installation aus Gitterstoffen (Scrim), die er für die Dia Art Foundation in New York umsetzte. Später verwendete er fluoreszierendes Licht auch für die großformatige Wandinstallation Light and Space (2007), welche er für das Museum of Contemporary Art in San Diego konzipierte. Vor etwa zehn Jahren nahm sich Irwin dem Medium erneut an und gelangte zu einer originellen Formfindung: kaskadenartige Reihen fluoreszierender Lichter, die wechselweise in strahlenden, gedämpften oder metallischen Farben getönt und in einem diffusen Zwischenraum zwischen Malerei und Skulptur angesiedelt sind.
Wie alle Werke Irwins bedienen sich diese Lichtarbeiten einfacher Materialien, um eine komplexe Wirkung zu erzielen. Im Gegensatz zu Dan Flavins Arbeiten, mit denen sie manchmal verglichen werden, verwendet Irwin ausschließlich weiß leuchtende Röhren, die er mit farbigen Folienfiltern in unterschiedlichen Kombinationen ummantelt. Dasselbe Material, erhältlich in hunderten von Farbtönen, findet im Theater Verwendung, um Bühnenscheinwerfer farblich abzustufen. Als würde er Farben mischen schichtet Irwin manchmal mehrere Folienfilter auf ein- und dieselbe Leuchtstoffröhre. Bei eingeschaltetem Licht ist jeweils eine der Farben sichtbar, wird es ausgeschaltet, kommt ein völlig anderer Farbton zur Geltung. So existiert jede Arbeit in mehreren Zuständen. An den Vorderseiten der meisten Röhren sind Klebebandstreifen angebracht, und die Außenseiten einiger Fassungen sind grau und schwarz gestrichen, was der Präsenz der Arbeit einen alternierenden Effekt von Flachheit beziehungsweise von Vertiefung verleiht. Im Laufe der Jahre hat der Künstler eine Sensibilität dafür entwickelt, wie jeder einzelne Folienfilter das Leuchtmittel beeinflusst und wie sich unterschiedliche Farben in Beziehung zueinander wandeln. Mit diesem Wissen gelingt es Irwin, ein mehrdimensionales und komplexes Seherlebnis zu kreieren.
Die markanten Werktitel nehmen häufig Bezug auf Literatur und Musik und beinhalten Wortspielereien. Ihr symmetrisches Arrangement mag darüber hinaus an ein aufgeschlagenes Buch erinnern, die sich wiederholenden Motive an eine musikalische Komposition. Der Titel Faust (2015) lässt direkt an die klassische deutsche Legende von Doktor Faustus und dessen Pakt mit dem Teufel denken. Die Arbeit Mint Condition (2015), mit ihrer Palette aus kühlen Grüntönen und trübem Gold, kann als eine visuelle Anspielung auf das Konzept des Frisch- und Neuseins gelesen werden. Und auch wenn man in den blassen Grüntönen und den leuchtenden Gelbtönen von Oasis (2015) einen Verweis auf die Tropen erkennen mag, bleiben letztlich alle Assoziationen abhängig von dem subjektiven Verständnis der individuellen Betrachter_in. Den Künstler interessiert indessen vorrangig das Spiel mit den Farben und Farbklängen, die sich bei jeder der Lichtarbeiten, abhängig von ihrer räumlichen Umgebung und der jeweiligen Tageszeit, ständig wandeln.
Die Werke Untitled(2018) entstammen einer Serie schwarzer Malereien, die Irwin in den letzten Jahren schuf. Die zur paarweisen Installation bestimmten Arbeiten bestehen aus Alu-Wabenplatten (ein industrielles Material, das unter anderem in der Luft- und Raumfahrt eingesetzt wird), sowie aus einer Polyestergrundierung, die mit einem speziell angefertigten Pigment gefärbt wurde, das auch als „Irwin-Schwarz“ bezeichnet wird. Dieses Schwarz verleiht den Gemälden ihren tiefen, rauchigen Ton und trägt zu ihrer starken Spiegelwirkung bei. Hängt man zwei schwarze Rechtecke zusammen, so ergibt sich zwischen ihnen augenblicklich eine Relation. Diese sensibilisiert Betrachter_innen für die von den Gemälden ausgehende räumliche Dynamik sowie für ihre eigenen Wahrnehmungsprozesse, indem sie Spiegelungen ihrer selbst, des umgebenden Raumes sowie der in der Nähe hängenden Lichtarbeiten erfassen.
Robert Irwin (*1928 in Long Beach, Kalifornien) lebt und arbeitet in San Diego. Zu seinen bedeutendsten Einzelausstellungen zählen All the Rules Will Change im Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington, D.C. (2016), Primaries and Secondaries im Museum of Contemporary Art, San Diego (2007) sowie eine umfangreiche Retrospektive, die vom Museum of Contemporary Art in Los Angeles organisiert wurde und anschließend während der Jahre 1993–1995 im Kölnischen Kunstverein, im Musée d’art moderne de la Ville de Paris und im Museum Reina Sofía in Madrid gastierte. Seit den frühen 1970er Jahren schafft Irwin ortsbedingte Installationen auf Einladung von Institutionen wie dem Museum of Modern Art, New York, dem Whitney Museum of American Art, New York, dem Walker Art Center, Minneapolis, dem Museum of Contemporary Art, San Diego und La Jolla, der Chinati Foundation in Marfa, Texas und vielen weiteren. Zudem kreierte der Künstler bedeutende architektur- und landschaftsbezogene Installationen für das Los Angeles County Museum of Art, Dia:Beacon und das Getty Center. Irwin erhielt für seine Werk zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Thomas Jefferson Foundation Medal in Architecture (2009), eine John D. and Catherine T. MacArthur Fellowship (1984–1989) sowie eine Guggenheim Fellowship (1976).