Dittrich & Schlechtriem freuen sich, mit MOLTEN die erste Berliner Einzelausstellung des italienischen Künstlers Nicola Martini (geb. 1984 in Florenz, IT / lebt und arbeitet in Mailand, IT) zu präsentieren. Die Galerie ist mit der Ausstellung Molten für den VBKI-Preis Berliner Galerien 2018 nominiert.
Für Molten setzt Martini eine begehbare skulptural-performative Installation um. Dazu wird der unterirdische Galerieraum mit 20 Tonnen Phenolharz beschichtetem Quarzsand gefüllt, einem Material, das der Künstler wegen seiner besonderen Schmelzeigenschaften und der Fähigkeit, nach dem Erhitzen fest zu verbacken, ausgewählt hat. Aus der künstlich geschaffenen Landschaft aus dunkelroten und gelblichen Sandhügeln ragen einzelne Skulpturen hervor, die durch Bearbeitung desselben Materials entstanden sind. Indem er das Medium mit einem Gasbrenner und Epoxid einschmilzt, manipuliert und versiegelt, lässt Martini skulpturale „Krusten“ in verschiedenen Maßstäben entstehen, in denen Einkerbungen, Fußabdrücke und andere Sandformationen verewigt sind, die im Lauf der Zeit durch die im Raum umhergehenden Besucher verursacht werden.
Die fertigen „Krusten“ werden dann aufrecht auf dem sandigen Boden angeordnet und regelmäßig im Rahmen der täglichen Arbeit versetzt. Martini stellt während der gesamten Dauer der Ausstellung weitere dieser Objekte her und schafft so eine sich ständig wandelnde Landschaft, die den Besuchern jeden Tag ein anderes Erlebnis bietet.
Als Hinweis auf Martinis kontinuierliche Arbeit verbleiben Gasbrenner, Epoxid und andere Arbeitsmaterialien im Raum. Außerdem hängen zwei neue tropfenförmige Behältnisse aus Epoxid an einer Wand; sie enthalten Mischungen aus entmineralisiertem Wasser und roter Tonerde bzw. Grafit und metallischen Mineralien, die so für immer im gelösten Zustand erhalten bleiben.
Beim Gang durch “Molten” ist leicht erkennbar, inwiefern Martinis Werk von der vielschichtigen und weitverzweigten philosophischen Struktur des „neuen Realismus“ Maurizio Ferraris’ inspiriert ist. (1) Jede Skulptur spiegelt sein philosophisches und materielles Verständnis einer anderen Wahrnehmungswelt wieder. In der Erkundung dieser „neuen“ Welt entmaterialisiert Martini die Beschaffenheit des von ihm verwendeten Materials, macht sich seine chemischen Eigenschaften zunutze und dekonstruiert die Formen, in denen es typischerweise zum Einsatz kommt. In dieser für Martinis künstlerische Praxis bezeichnenden destrukturalisierenden Operation klingt Graham Harmans Materialismus an. (2) Indem er sich in seiner Praxis eine objektorientierte philosophische Herangehensweise zu eigen macht, lässt er neues Licht auf das Wesen des Materialismus fallen.
Über zwei Monate hinweg unternimmt Martini eine Metamorphose des Raums, bei der er als ein neuer Prometheus auftritt. Während der gesamten Ausstellungsdauer erhitzt der Künstler portionsweise Sand und modelliert ihn zu Gestalten und Formen, die er zufällig im Raum anordnet, wodurch ein improvisiertes Labyrinth aus vertikalen und horizontalen Grundformen entsteht. Das Wort im Titel der Schau, “Molten”, stammt aus dem Mittelenglischen und ist eine veraltete Form des Partizips Perfekt von „melt“; damit verweist der Künstler auf die archaische und ursprüngliche Geste des Metallschmelzens als eine Operation, die am Beginn der Technologiegeschichte steht. Der in dem Moment, in dem er aus dem festen in den flüssigen Aggregatzustand übergeht und seine bestimmte Form verliert, festgehaltene Quarzsand weist auf bevorstehende Veränderungen und ein mögliches neues Verständnis der Wirklichkeit voraus. Die Verschmelzung, so Martini, kann ein Augenblick sein, in dem Materie in einen Kreislauf der Erneuerung eintritt, statt der Entropie anheimzufallen, und diese Herangehensweise ist entscheidend für seine künstlerische Deutung des Anthropozäns. Die im Ausstellungsraum im Keller eingerichtete Installation wird zu einem großen elastischen Gefäß, in dem die Essenz eines intellektuellen Prinzips (hier in Form von Quarzsand materialisierter Materie) in verschiedenen Stadien und Formen besteht, die für verschiedene Existenzzustände stehen und neue Ebenen der sinnlichen und gedanklichen Erfahrung erschließen.
Der Ausschnitt stammt aus Molten: Matter through Time, einem Aufsatz, den Irene Campolmi für den Ausstellungskatalog beigesteuert hat, der ab Oktober 2018 über die Galerie zu beziehen ist. Für weitere Informationen zum Künstler und den Werken sowie Bildanfragen wenden Sie sich bitte an Nils Petersen, nils(at)dittrich-schlechtriem.com.
Arbeiten von Nicola Martini waren 2017 in unserer Gruppenausstellung AS IF WE NEVER SAID GOODBYE sowie 2015 in der von Julian Charrière kuratierten Schau In the Land of the Blind the one Eyed Man Loses Sight zu sehen, außerdem in internationalen Ausstellungen in New York, Paris und Mailand sowie in INTUITION im Palazzo Fortuny, Venedig, im Mai 2017.