Die Ausstellung des Malers Andrea Mariconti stellt einige seiner aussagekräftigsten, aktuellen Kunstwerke vor. In dem Hauptraum befindet sich die Bilder-Serie „A.N.M.L.A.“, die ihre Inspirationsquellen zum Einen in den Menhiren des norditalienischen Val Camonica findet, eine 13000 Jahre alte megalithische Felsbild-Siedlung, und zum Anderen in der Fragestellung „Was war das erste künstlerische Zeichen, das die Menschheit hinterlassen hat?“.
Viele versuchten, eine Antwort darauf zu finden, man bedenke nur die Abhandlungen von Didi-Hubermann über den Abdruck oder das Buch von Bataille über die Höhlen von Lascaux: Texte, mit denen sich Mariconti sehr sorgfältig auseinandergesetzt hat.
Aus der Analyse dieser und anderen Felsbild-Siedlungen geht hervor, dass der künstlerische Sinn, ob nachahmend oder symbolisch, schon ab dem ersten Zeichen, das der Mensch gesetzt hat, vorhanden war. Der Mediationsprozess fand schon damal so wie heute statt: das menschliche Auge strebt nach der Wiedergabe dessen, was es sieht. Dabei wird die Hand gezwungen, sich den synthetischen Blick und Gedanken zu beugen. Das Auge interagiert also am Ende gezwungenermaßen mit den Formen, die den Materialen innewohnt, sei es Felsenwand oder Menhir, stetig auf der Suche nach den Formen des Realen.
In seinen Portraits der Monolithen stellt Mariconti die „Camunische Stele“ dar und zwar in dem Augenblick, in dem der Künstler-Bildhauer die Oberfläche mit Hammer und Meißel eingekerbt. Die Felsen werden abgebildet, als ob die Zeit stehen geblieben wäre.
Zwischen ihnen bewegt sich, wie ein Geist, ein Kodex, der sich vom Material selbst ablöst: die Felsritzungen des Val Camonica mit männlichen Gegenständen (Axt, Tiere, Männer, Sonne) und die mit weiblichen Gegenständen (Kleider, Schmuck, Spiralen).
Dieser Kodex ist die meist vergängliche Verdichtung der Kunstgeschichte und bildet die Basis der unterschiedlichen subliminal-Sprache des männlichen und weiblichen Geschlechts. Er zeichnet außerdem ein undeutlich zeitlichen Horizont, als ob er zeit- und raumlos von Bild zu Bild tanzen würde, sich unter deren Oberflächen versteckend, unvergleichlich, wie ein Geist.
Der Geist-Kodex stellt der Kern der Ausstellung dar, denn auf ihn basiert die Arbeit des Künstlers. Es ist der rote Faden, der durch alle Ausstellungsstücke geht: die A.N.M.L.A. -Serie, die Portraits und die Skulpturen. Das Zeitgenössische ist unausweichlich das Ergebnis von Allem, was vorher gemacht worden ist: es ist genau dieses unaufhaltsame Fließen der menschlichen Kunstgeschichte, das Mariconti am meistens interessiert. Er ist frei von stil- oder strömungsbedingten Barrieren oder Etikettierungen.
In der Mitte des Raumes befindet sich Neuma I, eine Skulptur aus Bronze, die im Wachsausflussverfahren entstanden ist und zwar in der altertümlichen Gießerei Allanconi, ein besonderer Ort mit einer 450 Jahre alten Tradition. Die Metallkunde und die Wissenschaft der Verwandlung der Metalle waren gigantische Entdeckungen für die Kunstgeschichte. Im Val Camonica hat die Ankunft der Metallurgie den klare Übergang zwischen der Steinzeit und der darauffolgenden Kupfer- und Bronzezeit markiert. Bronze ist eine Legierung aus Zinn und Kupfer, zwei der wertvollsten Mineralien des Planeten. Für ihre Verwendung muss sie bis auf 1200° in einem Krug aus Graphit erhitzt und dann, durch Rillen, in der Mündung der Skulptur „gegossen“ werden.
Das, was die künstlerische Herangehensweise Maricontis ausmacht, ist die Analyse dieser ursprünglichen Wissenschaft, wobei – ganz im zeitgenössischen Sinn – der im Laufe der Jahrhunderte befestigte Prozess des Bronze-Schmelzens überschnitten, unterbrochen und neu verarbeitet wird. „Neuma“ ist die Urnote, als der Mensch noch nicht wusste, was musikalische Kompositionen sind. Der Mensch benannte damit die kleinste Klang-Partikel des Gesangs oder der ersten Musikinstrumente. Etymologisch gesehen ist Neuma mit dem Konzept von „Hauch, Atem“ verwandt, mit einer klaren Betonung auf die menschliche Stimme. Die Serie der Portraits, die sich in dem vorderen Raum der Galerie befinden, bestätigt die zentrale Rolle des Individuums, ganz im humanistischen Sinn, und zwar sowohl in seiner Rolle als Demiurg als auch in der als Empfänger des Geistes-Kodex oder der Gesamtheit der Kunstgeschichte selber.
Mariconti ist in der Kunstszene Italiens aufgrund seiner Maltechnik und der Zusammensetzung seiner Farbmischungen wohlbekannt. Der Künstler führt seine Malerei mit wohl dosierten, persönlichen Mischungen aus, die er im Laufe der Jahre entwickelt hat.
Diese beinhalten Ölfarben, Pflanzenauszüge, Asche, Erde, Kohlenoxid und Motoröl.Indem er meisterhaft die Verwendung von Leinwand und Papier kombiniert, weisen die Bilder Maricontis eine überraschende Stofflichkeit auf, die durch die Konsistenz der Materialien unterstreicht wird, die er in den Farbmischungen benutzt. Die Pinselführung, die gleichzeitig frei und beherrscht ist, unterstreicht es ebenfalls. Die Faltenbildung und die Überschneidungen, die sich aus der Zusammensetzung der verschiedenen Stoffe und die überraschende Anwesenheit kleiner Grafiken projezieren diesen italienischen Künstler in der meist innovativen und zeitgenössischen Kunstszene.