Kewenig freut sich, zum Gallery Weekend 2018 die Ausstellung ,More Than Ever’ mit Arbeiten von Leiko Ikemura zu eröffnen. Die Auswahl an Gemälden und Plastiken, die einen gleichberechtigten Dialog eingehen, berücksichtigt frühe Schaffensphasen der schweizerisch-japanischen Künstlerin ebenso wie neue Werke.
Nachdem Ikemura 1972 ihre Heimat Japan verließ, hat sie in vielen europäischen Städten gelebt. In ihrem umfangreichen Werk, das sie seit den 1980er Jahren als Bildhauerin, Malerin und Zeichnerin erschaffen hat, verschmelzen Merkmale europäischer und asiatischer Kunst.
Sowohl Ikemuras Malerei als auch ihre dreidimensionalen Arbeiten kreisen um Themen der Formwerdung und Verwandlung. Ihre geheimnisvollen Kreaturen und Fabelwesen entspringen oft japanischen Mythen wie wie dem des Kitsune — ein Weißfuchs, welcher menschliche Gestalt anzunehmen vermag und sich vornehmlich in eine schöne, junge Frau verwandelt. Sie sind stets in einem Zustand des Werdens dargestellt und im Übergang zwischen Mensch, Tier und Natur kaum greifbar. Dabei ist das schemenhafte weibliche Wesen mit leicht gebauschtem Rock ein wiederkehrendes Motiv in vielen Arbeiten der Künstlerin.
In der Bronze ,Hase-Frau’ (1990/2016) entspringt der weibliche Torso mit emporstrebenden Hasenohren einer architektonisch anmutenden Basis. Die Figur wirkt so gleichsam geerdet wie auch gen Himmel orientiert, als wolle sie eine Verbindung zwischen zwei Welten herstellen. Die bisher ungezeigten, frühen Bronzen ,Untitled’ (1988) und ,Bust’ (1989) verkörpern auf besonders subtile Weise die Idee einer Urlandschaft, in der menschliche Körper - scheinbar noch eins mit der Erde - lediglich zu erahnen sind.
Neben teils farbig gefasster Bronze verwendet Ikemura für ihre Plastiken meist Terrakotta. Der Schaffensprozess und die Spuren der Bearbeitung sind in ihnen sichtbar und geben ihrer Oberfläche eine Bewegtheit, die durch schimmernde Glasuren aufgegriffen und verstärkt wird. In den Keramiken ,Trees out of head’ (2015/2017) oder ,Fuji-Face’ (2012) oszilliert das Wesenhafte mit der Landschaft: auf den liegenden Köpfen friedlich Schlafender wachsen Bäume; in Berglandschaften erscheinen weibliche Gesichter. Gefäßartig nach oben hin geöffnet geben einige der Plastiken ihr Inneres preis— dunkel, tief und ruhig.
Auf der Leinwand erschafft Leiko Ikemura mit spielerischem, flüchtigem Duktus eine stimmungsvolle Bildwelt, in der sie mit Auslassungen und fließenden Übergängen die Grenzen des Definierten überschreitet.
Seit den 1990er Jahren findet der Bildtypus der Horizontbilder in ihrem Werk besondere Beachtung. Zwischen Nacht und Morgen treffen sich Himmel und Meer als zwei Flächen in einer Linie, die durch dünne Farbschichten überlagert wird und verschwimmt. In ihrer äußersten Reduziertheit stehen sie in der Tradition fernöstlicher Landschaftskunst und ihre Leere lässt Raum für Imagination. In besonders engen Dialog mit ihren dreidimensionalen Arbeiten treten Ikemuras kosmische Landschaften, in denen sie Bäumen und Felsen anthropomorphe Züge verleiht. Im Triptychon ,Sinus Woman’ (2018) verschmelzen die Silhouetten transparenter Körper und angedeutete Gesichtszüge geisterhaft mit stark farbigen und abstrahierten Landschaften, die Erinnerungsräumen gleichen und den Blick des Betrachters nach innen lenken.
Leiko Ikemura lebt und arbeitet in Berlin. Bis Ende Mai sind ihre Arbeiten im Max Lieberman Haus der Stiftung Brandenburger Tor zu sehen. Das National Art Center in Tokio sowie das Kunstmuseum Basel werden der Künstlerin 2019 eine Soloschau widmen. In der Vergangenheit wurden ihre Werke weltweit in renommierten Institutionen wie dem Vangi Sculpture Garden Museum, Mishima; dem Nevada Museum of Art, Reno; der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe oder dem Museum für Gegenwartskunst Basel ausgestellt worden. 1999 bespielte sie den Japanischen Pavillon der Melbourne International Biennial. Zuletzt waren ihre Arbeiten im Keramikmuseum Hetjens, Düsseldorf (2017) und im Museum für Ostasiatische Kunst, Köln (2015) zu sehen; 2011 im Mie Prefectural Art Museum, Tsu. Ihre Arbeiten sind in zahlreichen internationalen Museen wie dem Centre Georges Pompidou, Paris; den Kunstmuseen Basel, Bern und Zürich sowie dem National Museum of Modern Art und dem Hara Museum of Contemporary Art, Tokyo, vertreten. Ikemura wurde für den Prix de Dessin 2018 der Fondation Guerlain nominiert und zuvor mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. dem Cologne Fine Art Prize (2014), dem August-Macke-Preis (2009) und dem Deutschen Kritikerpreis für Bildende Kunst (2001). Von 1990 bis 2015 hatte Leiko Ikemura eine Professur an der Universität der Künste Berlin (ehemals Hochschule der Künste Berlin) inne.