Die Buchmann Galerie freut sich, eine Ausstellung mit zwei verwandten Werkgruppen von Joel Sternfeld anzukündigen: Stranger Passing und To Joseph Palmer. Beide verwenden eine Folge von Einzelporträts, um einen breiteren Aspekt der US-amerikanischen Gesellschaft zu beschreiben.
Die semiformalen Porträts von Stranger Passing entstanden zwischen 1985 und 2001 in den Vereinigten Staaten. In diesen großformatigen Bildern (92x116 cm) begegnen wir Menschen aus sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnissen bei deren alltäglichem Tun. Sternfeld ließ sich zu diesen Arbeiten von dem deutschen Fotografen August Sander und insbesondere von dessen Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz inspirieren und hält diese Menschen inmitten einer Tätigkeit fest, die einen Schlüssel zu Ihrer Identität zu geben scheint.
Im Katalog zur Ausstellung von Stranger Passing 2001 im MOMA San Francisco schrieb Kurator Douglas Nickel: „Sternfelds Soziologie gibt daher die Frage an uns zurück, da wir selbst entscheiden müssen, welche Vermutungen wir über die Person neben uns im Fahrstuhl aufgrund der äußeren Erscheinung zulassen.“ Zu Sternfelds Porträts sagt Nickel weiterhin: „Abhängig vom eigenen Standpunkt können sie als kritisch, ironisch und politisch oder als ernsthaft, unbewegt und illustrativ angesehen werden.“ In diesen Bildern ist der Ursprung vieler Entwicklungen zu erkennen, die sich in der heutigen Gesellschaft der USA abzeichnen.
In der Buchmann Box präsentieren wir erstmalig die neue Werkgruppe To Joseph Palmer. Sie beinhaltet 24 kleine, juwelenartige Porträts von Menschen mit Bärten — doch sind es nicht die Bärte an sich, die den Fokus dieser Arbeit bilden. Die Aufnahmen sind Joseph Palmer gewidmet, einem Farmer aus New England im 19. Jahrhundert. Er trug einen langen, wallenden Bart zu einer Zeit, in der Bärte gesellschaftlich nicht akzeptiert waren. Eines Nachts wurde Palmer von vier Männern überfallen, die ihm seinen Bart abschneiden wollten. Er verteidigte sich erfolgreich mit einem Messer, kam deshalb ins Gefängnis und erhielt eine Strafe von 10 Dollar auferlegt. Als er aus Prinzip die Zahlung der Strafe verweigerte, musste er die nächsten 15 Monate hinter Gittern verbringen. Während seines Gefängnisaufenthaltes schrieb er Briefe an die lokale Zeitung, die daraufhin auch in weiteren Tageszeitungen veröffentlicht wurden und ihn zu einer cause célèbre machten. Nach seiner Freilassung stieß Palmer zu den Kreisen um Thoreau und Emerson und schloss sich der radikalen aber spektakulär gescheiterten utopischen Kommune Fruitlands an.
Zur Zeit von Palmers Tod, in den 1870er Jahren, waren Bärte stark in Mode gekommen. Palmers Grabstein schmückt ein Marmorbildnis mit seinem mächtigen Bart und die Inschrift „Persecuted For Wearing the Beard“ (Verfolgt wegen Barttragens).
Unterhalb Sternfelds Bilder läuft ein historischer Text über Palmer von Stewart Holbrook aus dem Jahr 1944. To Joseph Palmer steht somit in der Folge zahlreicher weiterer, Text und Bild verknüpfender Arbeiten in seinem Schaffen (On This Site (2009 in der Buchmann Galerie ausgestellt), Treading on Kings, When it Changed, Sweet Earth).
Den Personen in To Joseph Palmer wurde die Geschichte dieses Verfechters der Meinungsfreiheit erzählt und alle waren bereit, sich an diesem Projekt zu Ehren von Palmer zu beteiligen. Gleichzeitigt würdigt es das Recht aller Menschen, ihre friedfertigen Überzeugungen und Praktiken ohne Angst vor Verfolgung leben zu dürfen.