The Notion of Mutable Space – die Vorstellung vom wandelbaren Raum – ist fundamentales Element und Forderung im Denken Gordon Matta-Clarks. Zugleich ist dies die Überschrift, unter der die umfangreiche Ausstellung in der Galerie Thomas Schulte mit mehr als 100 Originalarbeiten die Frage nach dem architektonischen Grundgedanken Matta-Clarks und der Wiederspiegelung in dessen Werk stellt.
Gordon Matta-Clark, 1943 in New York geboren und nur 35-jährig im Jahr 1978 dort verstorben, studierte Architektur an der Cornell University in Ithaka, New York. Obwohl Matta-Clark seine Profession als solche nie ausübte, muss seine künstlerische Arbeit doch auch als die eines Architekten begriffen werden, der sich intensiv mit der sozialen Realität und den Auswirkungen von Architektur im städtischen Lebensraum auseinandersetzte. Seine Konzepte richteten sich vor allem gegen das rein funktionale Raumverständnis und die einheitliche Bauweise zu Beginn der Siebzigerjahre. Bekannt wurde er vor allem durch seine Interventionen und Transformationen in verlassenen, zum Abriss freigegebenen Gebäuden durch sogenannte „Building Cuts“. Neben der Befragung der Funktion von Architektur ging es dem Künstler dabei um die Annäherung an das Gebäude als Struktur und darum – in Form einer angewandten, gesellschaftspolitischen Architekturkritik – die Idee von Raum zu formulieren, der in Sinn und Erleben veränderlich ist. Es war der Versuch, das Gebäude als hermetisch abgeriegeltes System, in dem Heizung, Belüftung und Klima streng kontrolliert werden, partiell einzureißen, um es gegenüber Atmosphäre und Außenwelt zu öffnen. Die Aufgabe des Bauens sei, sagte Matta-Clark, einen Zustand der Erhebung zu erzeugen, und nicht Wände einzuziehen.
Im Windowspace der Galerie werden Fotos von Matta-Clarks performativer Installation Jacob’s Ladder, die der Künstler für die Documenta im Jahr 1977 realisierte, als wandfüllende Fototapeten gezeigt. Die zwei von der Straße aus einsehbaren Illustrationen zeigen Matta-Clark selbst auf einer Strickleiter aus Netzen und Seilen Richtung Himmel emporsteigen. Auf den Fototapeten sind Zeichnungen zum Projekt sowie Zeichnungen zum ursprünglichen Entwurf montiert. Dass die Interaktion des menschlichen Körpers in und mit der Natur respektive Architektur für Gordon Matta-Clark essentiell war, zeigt sich neben dieser Arbeit auch in dem ausgestellten Video Tree Dance von 1971, aber auch in den „Wolkenbügeln“ und Entwürfen für die „Ballongebäude“, die kurz vor seinem Tod entstanden waren. Es war vor allem die Zusammenarbeit mit den Land-Art Künstlern Robert Smithson und Dennis Oppenheim, mit denen MattaClark für die legendäre „Earth-Art“-Ausstellung an der Cornell School zusammenarbeitete, die seine Arbeit und den körperlichen Umgang mit vorgefundenen Materialien und „Räumen“ geprägt hatten.
Wie ein in Matta-Clarks Sinn angewandter architekturkritischer Kommentar aussehen kann, demonstriert eine seiner bekanntesten Arbeiten, namentlich Conical Intersect, die 1975 während der Biennale von Paris im Stadtteil Les Halles in direkter Nachbarschaft zu dem im Bau befindlichen Centre Pompidou entstand. In die Außenwand eines von zwei aneinandergrenzenden Stadtpalais des 17. Jahrhunderts schnitt Matta-Clark in Höhe des vierten Stocks zunächst ein kreisförmiges Loch. Von diesem ausgehend, arbeitete er eine aufsteigende und konisch zulaufende Kubatur quer durch die beiden Häuser und legte dabei – für die vorbeilaufenden Passanten von der Straße aus sichtbar – verborgene Schichten der Architektur frei. Auf diese Weise schnitt Matta-Clark ein Loch in das Gewebe der urbanen Struktur und störte so das geregelte Funktionieren einer Form mithilfe einer in den architektonischen Baukörper eingeschriebenen, skulpturalen Zeichnung.
Dass sich Matta-Clark bei seinen Eingriffen in Architektur besonders für die sozialen Bedingungen im städtischen Raum und für die Offenlegung von verborgenen Bereichen interessierte, zeigt bereits seine erste Intervention Bronx Floors von 1973. Hierfür schnitt der Künstler mit einer Handsäge rechteckige Stücke aus Fußböden, Decken und Wänden von Wohnungen in leerstehenden Gebäuden in der Bronx, um den Blick auf Architektur zu verändern und Verborgenes sichtbar zu machen. Gleichzeitig dokumentierte er mittels Fotografien den Verfall und die fortschreitende Entvölkerung eines Stadtteils als Phänomen und Symptom der wirtschaftlichen Stagnation New Yorks in den Siebzigerjahren. Neben einem extrem seltenen Artefakt aus diesem frühen Projekt, das in der Ausstellung zu sehen ist, steht im Eckraum der Galerie eine Garbage Wall, eine gewaltige Konstruktion aus Sperrmüll. Diese Idee des Künstlers – wie sich jeder auch mit einfachsten Mitteln einen eigenen geschützten Ort schaffen kann – wurde seit 1970 mehrfach in Ausstellungen weltweit realisiert.