Kewenig freut sich, anlässlich des Berliner Gallery Weekends 2017, die Soloausstellung „Geometry of Breath“ von Kimsooja zu eröffnen. Michael O. Kewenig und Kimsooja haben die Ausstellung gemeinsam geplant. In Gedenken an den überraschend verstorbenen Galeristen widmet Kimsooja ihm die Ausstellung.
Die international renommierte Konzeptkünstlerin Kimsooja, geboren 1957 in Daegu, Südkorea, lebt und arbeitet zwischen Seoul, New York, Paris und Berlin. Seit über dreißig Jahren beschäftigt sie sich in ihrem künstlerischen Werk mit Thematiken der conditio humana, der Migration und der Repräsentation des Selbst. Ihre Installationen, Performances, Skulpturen, Filme und fotografischen Arbeiten adressieren überdies aktuelle (kultur)politische Phänomene. Motive des Kosmopolitismus und die Frage nach Heimat in einer sich fortschreitend globalisierenden Welt kulminieren dabei stets in Kimsoojas nachdrücklicher Suche nach den existentiellen Bedingungen von Humanität.
Die Ausstellung „Geometry of Breath“ kontextualisiert Werke der letzten zehn Jahre, während der Kimsooja sich auf die körperlichen Aspekte ihrer künstlerischen Praxis fokussiert hat. Den Auftakt bildet die Installation To Breathe: Mandala (2010), eine amerikanische Jukebox, die den Besucher im Erdgeschoss mit Atemgeräuschen der Künstlerin aus der Soundperformance The Weaving Factory (2004) umfängt.
Drei schwarze, in Berlin entstandene Bottari (2017) säumen den historischen Treppenaufgang zur oberen Ausstellungsetage. Bottari (kor. „Bündel“) schnürte Kimsooja erstmals während ihrer Künstlerresidenz 1992 am MoMA PS1 und greift sie seither wie eine künstlerische Signatur in je ortspezifischer Modifizierung neu auf. In Gedenken an Michael O. Kewenig schnürt Kimsooja einen Bottari mit seiner Kleidung. Traditionell bündelten Bottari in Korea bis in das 20. Jahrhundert das wichtigste Hab und Gut in einem Laken, wenn ein Heimatort verlassen werden musste. „Heimat“, so die Künstlerin, „ist kein topographisch definierbarer Ort, sondern ein Bewusstseinszustand“. Wo immer Kimsooja sich befindet, ist ihr Körper zugleich ihr Studio und ihr Zuhause. So verschwimmen in den neuen Arbeiten zunehmend die Grenzen zwischen ihrem Körper – als Ort der Entstehung künstlerischer Ideen – und den Werken selbst.
Für die Giclées Topology of Time (2016) im Vestibül der oberen Ausstellungsetage hat die Künstlerin seit der Mitte der 1990er Jahre ihre eigenen ausfallenden Haare aufbewahrt. Im Bildraum fungieren die Haare gleichzeitig als Zeichenmaterial wie auch als Zeitmesser einer ephemeren Körperlichkeit. Hingegen stammen die Fingerabdrücke in den Drucken Geometry of Body (2013-2016) von einer Sicherheitskontrolle am amerikanisch-mexikanischen Grenzübergang Mariposa Land Port of Entry. Im Rahmen des „U.S. GSA Art in Architecture Program 2013“ installierte Kimsooja großformatige Videoportraits von Grenzbewohnern, die – unmittelbar über der Hochsicherheitszone des brisant verhandelten Grenzgebiets installiert – eine Willkommensgeste für passierende Migranten ausführten. Die abstrahierten Fingerabdrücke pendeln zwischen ihrer ursprünglichen Funktion als Identifikationsmerkmale und einer Referenz auf topografische Linien.
Unter einer Wäscheleine mit getragener Kleidung der Künstlerin hindurch gelangt der Besucher zur foto- und videographischen Arbeit An Album: Havana (2007, Einkanal-Video, 7 min, stumm), in der vorbeiziehende Körper zunehmend entschwinden. Vier fotografische Arbeiten aus der Videoarbeit sind im Treppenhaus installiert. Der dritte Raum des Obergeschosses präsentiert die in Gips gegossenen Hände und Arme von Kimsooja in der Installation Deductive Object (2016) auf einem antiken Holztisch. Der Abguss fängt den Moment ein, in dem sich Zeigefinger und Daumen der Künstlerin berühren und eine Leere in der Hand erzeugen. “One Breath” (2006 / 2016) ist eine digitale Stickerei eines Atemgeräuschs der Künstlerin aus der Soundperformance “The Weaving Factory” (2006). In “Geometry of Body” (2006 – 2015), einer Yogamatte, die die Künstlerin neun Jahre lang benutzt hat, werden ihre Körperformen durch Bewegungsabläufe zur Malerei. Die drei Arbeiten korrespondieren mit den Tonkugelinstallationen im Vestibül – Relikte aus dem Hauptwerk Archive of Mind in Kimsoojas Retrospektive im Museum of Modern and Contemporary Art Seoul (2016): In dieser ersten interaktiven Installation formen die Besucher während der Dauer der Ausstellung an einem 19 Meter breiten Tisch Kugeln aus frischem Ton zwischen ihren Handflächen – dazu erklingt eine Soundperformance mit Gurgelgeräuschen der Künstlerin.
Die Videoarbeit An Album: Hudson Guild (2009, Einkanal-Video, 25min., Ton) im letzten Raum der Ausstellung fragt nach den Veränderungen und subjektiven Bedingungen von raumzeitlichen Wahrnehmungsstrukturen im Alter. In den Aufnahmen aus dem Seniorenzentrum Hudson Guild im New Yorker Stadtteil Chelsea widmet die Künstlerin sich Phänomenen von Gedächtnis- und Realitätsverlust und gedenkt darin ihrem verstorbenen Vater. Die Portraitierten sind sozial schwächere Immigranten aus Lateinamerika, Europa und Asien, die aus Chelsea zunehmend herausgedrängt werden. Im anlässlich der Ausstellung produzierten Filmstill An Album: Hudson Guild (2009/2017) formieren sie sich zum Gruppenportrait Amerikas – als einem Land von Immigranten. Parallel zur Ausstellung „Geometry of Breath“ installiert Kewenig im Warehouse der Galerie in Moabit Kimsoojas mehrfach inszenierte und videographisch dokumentierte Performance Bottari Truck – Migrateurs (2007). Darin fährt die Künstlerin auf der Ladefläche des ausgestellten Pickups, der mit ihren paradigmatischen Bottari beladen ist, durch die Straßen von Paris. Sie gedenkt damit den "Sans-Papiers" der Eglise Saint Bernard de la Chapelle – Immigranten ohne Papiere, die Anfang der 1990er Jahre in ebenjener Kirche Zuflucht fanden. Kewenigs Warehouse ist während des Gallery Weekends von 11 bis 18 Uhr geöffnet.
Kimsooja studierte Malerei an der Hong-IK Universiät in Seoul (1980-84) und Lithographie an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris (1984-85). Ihre Werke wurden in zahlreichen Einzelausstellungen renommierter, internationaler Museen gezeigt, darunter im MoMA PS1, New York (2001); im Museo Reina Sofia, Madrid (2006); im Musée d’Art moderne St. Etienne (2012); im Miami Art Museum (2012); in der Vancouver Art Gallery (2013); im Guggenheim Museum Bilbao (2015); im Centre Pompidou Metz (2015); im MMCA, Seoul (2010, 2016) sowie im CAC Málaga (2016). 2013 bespielte Kimsooja den Koreanischen Pavillon auf der 55. Biennale in Venedig, überdies vertrat sie Korea auf den Biennalen in Istanbul (1997), Sao Paolo (1998) und Sydney (1998). 2015 wurde sie mit dem Ho-Am-Preis ausgezeichnet. Nach Einzelausstellungen Kimsoojas bei Kewenig in Köln (2005, 2009) und in Palma de Mallorca (2013) ist „Geometry of Breath“ nun die erste in den Berliner Galerieräumen.