Ansichten von K., Wer oder was ist K.? Was denkt K.? Oder: Wie sieht K. aus? Manch eine:r mag schon an Brechts „Herrn K.“ oder an Kafkas „Josef K.“ denken, doch wir befinden uns ganz woanders: Betze, K-town, Pfaff hieß eine Gruppenausstellung im Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern (2024/2025), für die die Fotoserie und das Künstlerbuch Ansichten von K. der Dokumentarfotografin Elisabeth Neudörfl ursprünglich entstanden sind. Und damit kommt man der Lösung des Rätsels um die Ansichten von K. ein Stück näher, das Neudörfl selbst nicht vollständig auflösen will. Ihr ist die Verkürzung wichtig, die wegführt von der lokalen Verortung, wodurch Raum für mehr Offenheit entsteht. Es geht um einen Vorschlag: „So kann man das anschauen.“

„K-Town“ (nicht zu verwechseln mit Korea-Town) ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für Kaiserslautern, eine Stadt, die seit den 1950er-Jahren stark durch Militärpräsenz geprägt ist. Um die 50.000 US-Soldat:innen leben dort mit ihren Familien, denn die „Ramstein Air Base“ liegt nur etwa 20 Kilometer vom Zentrum entfernt. Immer wieder in die Presse geraten ist die Ramstein Air Base in den letzten Jahren aufgrund der von dort gesteuerten US-Kampfdrohnen-Einsätze und der Frage, inwiefern Deutschland mitverantwortlich ist für Menschenrechtsverletzungen, die mit diesen Drohnen begangen werden. Der Anschlag der RAF auf die Airbase 1981 und das schwere Flugschau-Unglück im Jahr 1988 sind als dunkle Ereignisse in die Geschichte der BRD eingeschrieben. „Betze“ steht stellvertretend für den Betzenberg und das dortige Fritz-Walter-Stadion des 1. FC Kaiserslautern – aktuell ein Zweitligist, aber von 1963 bis 1996 durchgängig in der ersten Liga. Und „Pfaff“, der Name einer international bekannten Firma für Nähmaschinen, dient als Verweis auf die industrielle Vergangenheit der Stadt. All diese Faktoren sind identitätsstiftend für die Bevölkerung von Kaiserslautern und prägen die Realität der Stadt, von der uns Neudörfl Ansichten zeigt. Nach eingehender Beschäftigung mit der Geschichte der Stadt, war Neudörfl im Sommer und Herbst 2023 fünf Mal für mehrere Tage zum Fotografieren in der kreisfreien Industrie- und Universitätsstadt mit ihren etwas über 100.000 Einwohner:innen im Süden von Rheinland-Pfalz.

Und was genau hat K. nun zu bieten, eine Stadt in der es laut der Soziologin Annette Spellerberg nur „wenige architektonische Highlights“ gibt, deren „historische Identitätsanker weitgehend zerstört sind“ und die sich gerade von einem Industrie- zu einem zukunftsweisenden Technologiestandort wandelt? Auf den oft detailreichen Motiven Neudörfls sehen wir vor allem Architektur und Infrastruktur: alte und neue Gebäude und Fassaden, immer von außen und ohne Menschen; Straßenverläufe, Ampeln und Schilder; übliches Stadtmobiliar, mehr oder weniger gepflegte Grünanlagen und (Vor-)Gärten; dazu Baustellen, Verteilerkästen, Zäune, Absperrungen, Parkplätze; nicht zu vergessen Fahrzeuge, insbesondere die Hubschrauber und Flugzeuge über der Stadt; absurd wirkende Szenen und Objekte: Marodes, Mülliges, aber auch Schönes, Gediegenes und Einladendes, zentral wie auch periphär; Flaggen, Firmenlogos, Sticker; Läden, Gewerbe, Gastronomie; insgesamt jedoch wenig Konsumoberfläche, und wenn doch, dann eher am Rand; und zu alldem im Kontrast: die archäologischen Funde, die den ursprünglichen Standort der mittelalterlichen Kaiserpfalz markieren.

Besonders fallen wohl die Hinweise auf die amerikanische Bevölkerung auf, die ihren eigenen Lifestyle mitgebracht hat: eigene Straßenschilder, Shopping Areas, Carports und Outdoor-Basketballanlagen. Außerdem markant: die schon genannten, vermutlich vor allem militärisch genutzten Flugzeuge und Hubschrauber. Beim Fotografieren hat die Künstlerin selbst am meisten überrascht, „wie dicht die Flugzeuge bei ihrem Anflug auf Ramstein über die Stadt fliegen. Und wie sehr zwei ganz unterschiedliche Auffassungen von städtischem Raum nebeneinander existieren: eine europäisch-historische Stadt, typisch Bundesrepublik, und sehr amerikanisch anmutende Räume, die viel offener, aber auch unorganisierter sind.“

Ansichten von K. besteht aus 77 querformatigen Farbfotografien, aufgenommen mit einer digitalen Kleinbild-Spiegelreflex-Kamera. Die Fotos sind, von Neudörfl in eine für sie schlüssige Ordnung gebracht, im Künstlerbuch hintereinander je doppelseitig abgedruckt, was den zeitlichen Aspekt betont; ergänzt werden sie durch einen Text der Soziologin Annette Spellerberg und einen Index. In ihrer inzwischen 5. Einzelausstellung in der Galerie Barbara Wien zeigt Elisabeth Neudörfl eine Auswahl von 35 Motiven. Wie schon im Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern reiht sie auch hier oft mehrere gleichgroße Motive der in rahmenlosen Bilderhaltern präsentierten digitalen C-Prints so aneinander, dass sie aneinanderstoßen und ihre Motive ineinander überzugehen scheinen. Anders als im Buch haben die Betrachter:innen in der Ausstellung die Möglichkeit, die Motive größer und auch mehrere gleichzeitig zu sehen. Die Hängung in Gruppen beinhaltet außerdem eine Fokussierung auf inhaltliche und auch unerwartete formale Aspekte.

Die künstlerische Auseinandersetzung mit festumrissenen urbanen Orten – wie hier Kaiserslautern – ist für Elisabeth Neudörfl nicht neu. So begreift sie sich schon immer als eine Art Beobachterin. Als diese begibt sie sich auf die Suche nach Diskursen der Gegenwart und ihren architektonischen und sozialen Manifestationen in Stadträumen: so etwa 2020 in der Zeit der aufkommenden Covid-19-Pandemie und der Studentenproteste gegen die Peking-nahe Regierung in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong (Out in the Streets); 2010 dokumentierte sie Szenen an der Epifanio de los Santos Avenue, einer wichtigen Verkehrsader in Manila, die seit den 1980er-Jahren immer wieder für politische Proteste genutzt wurde (E.D.S.A.); 2006 standen drei Straßen im Rotlichtbezirk von Bangkok im Zentrum ihrer Recherche (Super Pussy Bangkok). Ihre Feldforschungen mündeten jeweils in einer Fotoserie und einem Künstlerbuch.

Folgendes Statement von Elisabeth Neudörfl gibt Einblick in ihr Selbstverständnis als Dokumentarfotografin: „Jedes Foto zeigt einen sehr exklusiven Ausschnitt der Welt – räumlich und zeitlich. Das Bild ist durch den Rahmen klar beschnitten und die Belichtung ist nur ein Moment in der Zeit. Trotz dieses räumlichen und zeitlichen Ausschnitts, der so viel mehr ausschließt, als er zeigt, können wir auf Fotografien Dinge sehen, die wir in unserer kontinuierlichen Wahrnehmung der Realität nicht sehen können.“

(Text von Barbara Buchmaier)