Die Ausstellung Transcorporealities reflektiert das Museum als durchlässigen Körper, in dem verschiedene biologische, soziale, technologische, politische und wirtschaftliche Systeme ineinanderfließen. Wie alle menschlichen und nichtmenschlichen Realitäten befindet es sich in stetigen Stoffwechselprozessen mit seiner Umwelt.
Vor diesem Horizont aktiviert die Ausstellung einen Bereich im Museum, der sich durch seine transparenten Fensterfronten und Glastüren an zwei Seiten öffnet und frei zugänglich ist: das Eingangsfoyer. Als Transitraum bildet es eine Art Membran – einerseits um das sensible Innenleben der Institution vor äußeren Einflüssen zu schützen, andererseits um ihre Poren für die Umwelt zu öffnen und somit ihre Atmung zu ermöglichen. Die künstlerischen Arbeiten reagieren unmittelbar auf den Raum, schaffen neue Mikroarchitekturen, inkorporieren die bereits bestehende Einrichtung oder legen Fährten in die Sammlung und weitere Vermittlungskanäle des Museums. Die Werke sind immersiv, prozessual oder performativ. Mitunter entziehen sie sich bewusst der materiellen Fassbarkeit.
Oscar Murillo lädt die Besucher*innen ein, auf seiner raumgreifenden Tribüneninstallation neben lebensgroßen Figuren Platz zu nehmen, und schafft eine Agora-Situation rund um eine Bühne, auf der während der Laufzeit ein weit gespanntes Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm stattfindet. Ähnlich performative Möglichkeitsräume entstehen durch Paul Mahekes Interventionen: Mit neuen Arbeiten markiert er dezidiert die Schwellen zwischen Innen- und Außenraum und lässt unter anderem OOLOI, eine alienhafte Fantasie-Figur dritten Geschlechts, ins Museum einziehen. Auch Flaka Haliti reflektiert die Perspektiven auf nichtmenschliche Körper und widmet sich obskuren Tiefseekreaturen, die sich außerhalb menschlicher Reichweite befinden und dadurch zu Spekulationen anregen. Während Jesse Darlings Installation mit Bezügen zur Legende der Kölner Stadtpatronin St. Ursula einige der Schließfächer im Foyer okkupiert, hebt eine Baggerinstallation von Sondra Perry den westlichen menschlichen Exzeptionalismus aus den Angeln. Auch die Technologien der Repräsentation zeigen sich als durchlässig, wenn Perry die ihnen innewohnenden diskriminierenden Identitätskonstruktionen entlarvt. Park McArthur versteht den Körper vielmehr als Beziehungsgefüge denn als in sich geschlossene Einheit. Die Materialität ihrer beiden skulpturalen Arbeiten im Foyer – aus Schall, Reibung und Stöße absorbierendem Schaumstoff und Gummi – verweist auf die Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwischen Körpern und ihrer Umgebung. Mit ihrem künstlerischen Beitrag im Katalog verschiebt sie die Grenzen des Ausstellungsraums noch ein Stück weiter.
Trajal Harrell und Nick Mauss greifen in die Sammlung ein und untersuchen auf unterschiedliche Weise transmediale Repräsentationsformen von Körperlichkeit und Performativität. Harrell, der 2018 vom deutschen tanz-Magazin als „Tänzer des Jahres“ ausgezeichnet wurde, befragt in einem Tanzsolo und einer Installation seinen (Selbst-)Wert. Im Dancer of the Year Shop versammelt er persönliche Gegenstände von unschätzbarer Kostbarkeit, darunter Erinnerungsstücke aus Familienbesitz und aus seinem Freundeskreis sowie Relikte seiner Karriere, und bietet sie an bestimmten Tagen der Laufzeit zum Verkauf an. Nick Mauss hingegen spürt Resonanzen zwischen verschiedenen Sammlungswerken auf, indem zum Beispiel Jasper Johns’ 15 Minuten Pause (1961) auf verweilende Darsteller in einem Gemälde von Erich Heckel (1928) trifft. In Mauss' Konfiguration mit dem Titel Traktat über den Schleier treten diese Arbeiten in Dialog mit einem projizierten Fotoarchiv von Carl Van Vechten und einer neuen Choreografie, die mit Studierenden der Hochschule für Musik und Tanz Köln entwickelt wird.
Die Künstler*innen teilen eine transdisziplinäre und institutionsreflexive Praxis. Dazu gehört die bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und transkorporalen Prozessen im Spannungsfeld zwischen gelebter Erfahrung und visueller Repräsentation, Ein- und Zuschreibungen oder Zurschaustellung und Angeschautwerden. Denn geht es um die mannigfaltigen Formen der Verkörperung, liegen Widerstand und Verwundbarkeit oft ebenso prekär nah beieinander wie Autonomie und Abhängigkeit, Liberalisierung und Instrumentalisierung.
Museen sind soziale Orte der Bildung, die gemäß der ihnen zugeschriebenen Kernaufgabe – Sammeln und Bewahren – Materie und Bedeutung im kulturellen Gedächtnis schaffen. Doch inwiefern funktionieren sie auch als eine Art Agora, als Ort der Versammlung? Dabei soll Transcorporealities nicht die Großzügigkeit und Gastfreundschaft des Museums unter Beweis stellen, sondern vielmehr ungelöste institutionelle Fragen nach Zugänglichkeit sowie den Möglichkeiten und Grenzen der Repräsentation von Körpern verhandeln: Wer ist das Wir, wer das Sie?
Transcorporealities ist die fünfte Ausstellung innerhalb der Projektreihe HIER UND JETZT im Museum Ludwig. Für Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig, steht Transcorporealities exemplarisch für den interdisziplinären Ansatz der Reihe, die Konventionen der Museumsarbeit hinterfragt und sie auf vielfältige Weise produktiv öffnet.