Abbildungen der Realität sind heute alltäglich. Kameras sind allgegenwärtig, wenigstens die im Smartphone, und so kann jeder Moment festgehalten werden. Fotographie ist kein exklusives Gut, wie noch vor hundert Jahren, als eine Fotographie eine Seltenheit darstellte; und die Zeiten, in denen man Malerei zur Abbildung benötigte, sind beinahe in Vergessenheit geraten. Und doch kehrt in den letzten Jahrzehnten der Trend zur realistischen Abbildung von Wirklichkeit zunehmend in die bildende Kunst zurück. Fotografieren kann heute jeder, aber wer widmet sich schon wochenlang dem Portrait einer Person, um sie mit Pinsel und Farbe bis ins kleinste Detail zu verewigen? Ein Gegensatz zur Schnelllebigkeit der Smartphone-Fotos, die so schnell wieder gelöscht werden, wie sie entstanden sind. Im Hyperrealismus erkennt man echte Hingabe an den Moment, an ein Werk, das Zeit braucht, um zu entstehen, und gerade dadurch Wert und Berechtigung erhält.
Clio Newton, ursprünglich aus New York, arbeitet in Zürich an ihren überlebensgroßen Darstellungen von Frauen. Ihre Kohlezeichnungen sind schwarz-weiß, die Verläufe weich, wie ein Filter über einem Foto. Die Künstlerin malt Frauen, die sie im Alltag trifft, Personen, die sie nicht kennt, und mit denen sie sich doch für Wochen beschäftigt. Eine Ausnahme, wenn man bedenkt, wie schnell die meisten Zufallsbekanntschaften wieder verschwinden ohne Spuren zu hinterlassen. Bei Newton sind die Spuren sichtbar, ihre Arbeit zeigt Frauen mit unbekannten Hintergründen und Geschichten, die nur durch ihr Zusammentreffen mit der Künstlerin verbunden sind. Und doch haben für Newton Menschen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede, eine Überzeugung, die man in ihrer Arbeit sieht – durch die gleiche Form der Darstellung, das gleiche Medium, die ähnliche Komposition der Werke.
Viel stärker als in einem Foto gibt ein Maler seine eigene, interpretierte Wirklichkeit einer Person wieder, eine Abbildung, die immer subjektiv beeinflusst ist. Was wird dem Betrachter gezeigt, was bleibt verborgen? Und geschieht das beabsichtigt oder unterbewusst? Wer weiß mehr, Künstler, Betrachter oder Model?
Bei Eloy Morales hat die Interpretation des Models in einigen Werken noch eine zusätzliche Bedeutung: Viele seiner Porträts sind Selbstporträts. Farbig und dynamisch überwältigt die unmittelbare Anwesenheit der riesigen Bilder. Ob es der Künstler selbst oder Personen aus seinem Umfeld sind, die er malt, immer blickt die Person aus einem farbverschmierten Gesicht mit durchdringendem Blick auf den Betrachter. Die Intensität, mit der der Künstler an den Werken arbeitet, ist greifbar in der Intensität ihrer Ausstrahlung. Morales fängt Momente in monumentaler Größe ein, in denen die Farben auf den Gesichtern die Persönlichkeit des Models unterstreichen. Mal ist der Farbauftrag transparent und sehr gleichmäßig, mal spontan und dickflüssig, von Weiß über erdiges Rot bis zu kräftigem Blau, eine Facettierung von Persönlichkeiten und Charakteren. Aber auch diese Facetten sind nur das, was der Künstler zeigen will – und das, was er selber sieht.
Text von Marina Sprenger