Unsere Vorstellung vom Aussehen und der Kleidung der Menschen in den Jahrhunderten vor der Fotografie, und noch lange vor jedem „Selfie“, war abhängig von den Fähigkeiten und Ausführungen der Porträtmaler der jeweiligen Epochen. So ändert sich das grundlegende Aussehen des Menschen nicht, gemalte Porträts unterliegen jedoch den Trends der damaligen Zeit und auch künstlerischen Stilen. Es verwundert daher nicht, dass die Porträts des flämischen Malers Anthony van Dyck (1599-1641), den Eindruck erwecken, jede englische oder französiche adlige Dame sei seinerzeit von delikater Schönheit gewesen und habe einen perfekten Porzellanteint besessen, jeder adelige Herr hingegen sei von ausgesuchter Eleganz und Ritterlichkeit gewesen. Man kann leider nicht mehr überprüfen, inwiefern das Bild und das Modell übereinstimmten, doch bei näherer Betrachtung wirkt die Persönlichkeit der von ihm Porträtierten aus dem Bild heraus. Dies ist eindeutig seinem außergewöhnlichen Stil zuzuschreiben.
Er schuf über seine ganze Schaffensperiode hinweg (eingeteilt in eine erste und zweite niederländische, eine italienische und eine englische Periode) gemalte Porträts und später auch gezeichnete. Zu seinen Werken gehören Historienbilder, Allegorien und Landschaften, doch seiner Porträtmalerei hatte er seine weltweite Anerkennung und seinen Platz in der Riege der Meister des 17. Jahrhunderts in der Kunst Europas, neben seinem Vorbild und Lehrer Peter Paul Rubens (1577-1640), zu verdanken. Er interpretierte Rubens‘ künstlerische Neuerungen auf seine eigene Art, erreichte ein Level in der Porträtmalerei, das bis heute unübertroffen bleibt.
Van Dycks Zeitalter markierte einen neuen Abschnitt in der Kunst des kleinen Landes im Süden der Niederlande, nach seiner größten Provinz oft Flandern genannt. Es war an der Zeit, dass es eine Entwicklung verspürte, da es durch die brillanten Werke seiner nationalen Schule der Malerei glänzte. Die niederländische Revolution im späten 16. Jh. führte zu einer Abspaltung der nördlichen Provinzen (Holland), die zu einer unabhängigen Republik der Vereinigten Provinzen wurden, während die südlichen Provinzen unter spanischer Herrschaft verblieben. Die niederländische Kunst spaltete sich daraufhin in zwei unabhängige nationale Schulen auf - die Niederländische und die Flämische zu der van Dyck gehörte.
Van Dyck wurde in Antwerpen, dem heutigen Belgien, geboren. Von vielen als „Wunderkind“ bezeichnet, kann man von anderen Künstlern unabhängigie Werke auf die Zeit zwischen 1615-1616 zurückdatieren. Er hatte diese also schon mit 17 Jahren gemalt. 1621 war er James dem I. zu Diensten, ging anschließend aber nach Italien, wo er von WerkenTitians und Tintorettos beeinflusst wurde und bis 1627 blieb. Seine Darstellungen der aristokratischen Patrizierfamilien Genuas, wie z.B. die Balbi Kinder, wurden dort sehr positiv aufgenommen. Sein meisterhaftes Können ließ ihn rasch in den Kreis der führenden Maler Antwerpens und Italiens aufsteigen. Bald schon drang sein Ruf über die Landesgrenzen hinaus, man interessierte sich ebenfalls in England für ihn. Als persönlicher Hofmaler erwartete ihn dort noch größerer Erfolg, weshalb er sich 1632 in Blackfriars niederließ und in London die Ritterwürde erhielt. Seine maßgebenden and schmeichelnden Darstellungen von Charles dem I. (allein und mit Familie) setzten einen neuen Standard in der englischen Porträtmalerei. Am englischen Hofe wurde er sozusagen der „Popstar“ unter den Porträtisten und man strebte nach seinem Vorbild.
Was unterschied ihn von den anderen Malern seiner Zeit? Seine neue Herangehensweise lag darin, dass er nicht nur die genaue Betrachtung und Ausführung des Modells im Sinn hatte, sondern auch dessen einzigartige Induvidualität und speziellen Charakter durch direkten Kontakt (nicht aus der Erinnerung) mit dem zu malenden Subjekt zu verwirklichen vermochte. Folglich sind seine Bildnisse Charakterstudien, in denen die Handschrift des Malers, die Bewegung seines Pinsels, eine wichtige Rolle spielt. Im Familienporträt beispielsweise, trägt van Dyck die Farbe nahezu ohne Vorbereitung auf, lässt Flächen der Grundierung und sogar der Leinwand frei. Die Pinselstriche, hier exakt und durchsichtig, dort dicht und satt, fast reliefartig, verschmelzen mit der grobkörnigen Leinwand und erzeugen dadurch das Gefuhl, als vibriere die farbenprächtige Oberfläche. Seine Technik kommt aus der Historienmalerei, deren besondere Eigenheit in der genauen Beobachtung und der Erfassung jedes kleinsten Details in Mimik und Gewand liegt. In einem typischen Porträt um 1620 mit dem Namen Cornelis van der Geest (1577-1638), ein Gewürzhändler und Kunstsammler sowie Unterstützer van Dycks, zeigt eine Kopf-und-Schulter-Ansicht, auch Schulterstück genannt, ein Beispiel seiner flämischen Schule. Die Komposition erlaubt es ihm, sich ausschließlich auf die Gesichtszüge der Person zu konzentrieren. Umrandet von einem weißen Halskragen und in Nahaufnahme dargestellt, zieht das Gesicht sofort die Aufmerksamkeit auf sich. Seine Pinselstriche sind plakativ, doch zugleich fein, um die besonderen Merkmale des Vorbilds herauszuarbeiten: das verlängerte Oval und die feinen Gesichtszüge, die offene, hohe Stirn. Das intelligente Blinzeln in seinen Augen schafft er durch ein lebendiges, leichtes Weiß, das in getrennten Strichen aufgetragen ist. Tatsächlich fängt er damit das edle Wesen seines Freundes und Gönners ein. Doch ihm ging es nicht nur darum, das Innerste seines Modells darzustellen, sondern er hatte auch zum Ziel, die emotionale Lebensgeschichte des Poträtierten „freizulegen“. Ein ehrgeiziges Ziel, das keiner seiner flämischen Vorgänger im 15. und 16. Jh. hatte. Nach dem Vorbild Rubens, schaffte Van Dyck psychologische Poträts, in deren Ausführung die wichtigste Aufgabe für ihn war, die Dynamik des Innenlebens, der Seele eines Menschen wiederzugeben.
Immer öfter wendete er sich nun der Leinwand zu, zog sie dem Holz vor. Anstatt der in der niederländischen Malerei traditionellen weißen Kreidegrundierung, die den Eindruck der Klarheit und des Glanzes der Farben verstärkt – wie noch auf den auf Holz gemalten Porträts Cornelis van der Geest –, beginnt van Dyck hier, die rötliche Grundierung (das „Venezianisch-Rot“, spater „Van-Dyck-Rot“ genannt) zu verwenden, wodurch seine Farben intensiv, satt und zugleich leuchtend werden. Dies und die zuvor genannten Aspekte halfen ihm, seinen Porträts jene so typische Innerlichkeit zu verleihen, wollte er doch nicht nur eine Illusion des Realen präsentieren. So konservierte er die Charaktere und das Lebensgefühl seiner Zeit für die Nachwelt, fing das eindrucksvolle, lebendige Innere und Äußere der vor ihm Sitzenden ein und schaffte Porträts mit erstaunlicher Überzeugungskraft, die wir bis heute zu schätzen wissen.
Autorin: Elvira Sauer